Kassel. Der vierte Saisonsieg – aber eine Stimmung wie nach einem Punktverlust gegen ein Schlusslicht. Den Handballern der Melsungen war nach dem 33:27-Erfolg gegen den Bundesliga-Drittletzten VfL Gummersbach nicht wirklich nach Feiern zumute.
Und das, obwohl die Voraussetzungen für ein rauschendes Handball-Fest eigentlich günstig waren: Die Müller-Zwillinge hatten am Mittwoch ihren 34. Geburtstag gefeiert, Michael Allendorf war am Spieltag Vater geworden – und vor allem war die erste Halbzeit gegen die Oberbergischen aller Ehren wert. 17:8 stand es nach dem ersten Abschnitt.
„Es ist enttäuschend, dass wir ein gutes Spiel dann so hergeben“, ärgerte sich Trainer Heiko Grimm. Er bezeichnete die Vorstellung als „indiskutabel“. Die zweite Hälfte ging mit 19:16 an die Gäste.
Die Einordnung
„Meine Laune ist schon etwas getrübt“, sagte der neunfache Torschütze Julius Kühn – und dies hatte weniger mit einer Weisheitszahn-OP am Freitag zu tun. Der Ex-Gummersbacher fand deutliche Worte mit Blick auf das Topspiel am kommenden Donnerstag ab 19 Uhr beim Rekordmeister THW Kiel: „In Kiel werden 20 gute Minuten nicht reichen, da müssen wir über 60 Minuten gut funktionieren.“
Dabei hatten sich die Melsunger noch einmal in ihrer Kabine die besondere Situation bewusst gemacht. Klar: Eine Neun-Tore-Pausenführung kommt auch nicht alle Tage vor. „Wir haben nur noch mit 80-prozentiger Leistungsbereitschaft gespielt, und dann schleichen sich schnell Fehler ein“, stellte Mittelmann Lasse Mikkelsen fest. Zudem hatte der VfL seine Abwehr umgestellt. „Wir sind mit der 5:1-Deckung nicht zurechtgekommen“, analysierte Grimm treffend.
Die Taktik
Der Trainer sah sich deshalb gezwungen, mal wieder auf eine ungewöhnliche Taktik zurückzugreifen. In der Schlussphase setzte Grimm auf die Variante, die im Mai den Sensationssieg bei den Rhein-Neckar Löwen ermöglichte: Der Torwart wurde durch einen zusätzlichen Feldspieler ersetzt und im Angriff mit drei Kreisläufern operiert. Darunter 2,10-m-Hüne Finn Lemke, der seine ganze Körpergröße ausspielte. Wie in der 59. Minute, als er Kühns Pass zum 33:26 verwertete. Zuvor hatte Lemke einen Siebenmeter herausgeholt, den Allendorf verwandelt hatte (45.).
Der frisch gebackene Papa
Linksaußen Allendorf machte nicht nur beim Strafwurf einen fitten Eindruck. „Heiko hatte mir freigestellt, ob ich zum Spiel komme“, berichtete Allendorf. Da es seiner Frau Natalie und Tochter Luise Magdalena am Nachmittag den Umständen entsprechend gutging, fuhr er zur Rothenbach-Halle. Ein Schlafdefizit hatte er auch nicht. Um 6 Uhr waren die angehenden Eltern zur Klinik aufgebrochen – das Kind kam kurz darauf durch einen geplanten Kaiserschnitt zur Welt. Knapp zwölf Stunden später stand er in der Startformation, die einen schnellen, komfortablen Vorsprung herauswarf.
Der Vollsprint
Beeindruckend: Lasse Mikkelsen spurtete nach Doppelpass mit Marino Maric übers ganze Feld und warf das 9:3 (13.). Der Däne gehört ohnehin zu den läuferisch stärksten Spielern im Team. Gegen Gummersbach waren seine Qualitäten besonders gefragt, weil Domagoj Pavlovic unmittelbar vor Anwurf wegen Fiebers ausgefallen war.
Bis zum Auftritt an der Kieler Förde müssten der Kroate sowie der ebenfalls erkrankte Felix Danner wieder an Bord sein. „Da werden wir uns anders präsentieren als in der zweiten Hälfte gegen den VfL“, verspricht Allendorf – auch wenn der Erfolg gegen Gummersbach deutliche Schönheitsfehler hatte.
Hintergrund
Unter den 3609 Zuschauern in der Rothenbach-Halle war auch ein bekannter ehemaliger Basketball-Profi: Henning Harnisch. Der Ex-Nationalspieler fungiert mittlerweile als Vize-Präsident beim Bundesligisten Alba Berlin und tauschte sich vor Beginn mit MT-Manager Axel Geerken in Sachen Nachwuchsförderung aus. Die Berliner haben ein ähnliches Projekt wie die Melsunger („Ballstars“). Harnisch berichtete am Rande der Partie, dass er in den 80er-Jahren oft bei den großen Spielen des VfL Gummersbach in der Dortmunder Westfalenhalle zu Gast war. In Kassel sah er nun eine Niederlage des VfL.
Quelle: pm HNA
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