Am Sonntag hatte die MT Melsungen die Chance, nach genau zehn Jahren, das „Wunder von Kiel“ zu wiederholen. Am 9. Dezember 2012 gelang es den Die MT Melsungen – seit Saisonbeginn um ein halbes Dutzend verletzter Leistungsträger dezimiert – reiste somit auch am 16. Spieltag der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga als klarer Außenseiter zum THW Kiel. Doch die Nordhessen ließen den Rekordmeister und seine über 10.000 Fans in der Wunderino Arena nicht schlecht staunen, als sie nach einem 10:17-Halbzeitrückstand bis eine Minute vor Schluss auf ein Tor herangekommen waren. Wesentlichen Anteil daran hatte übrigens MT-Keeper Adam Morawski, der mit 20 Paraden dem Match seinen Stempel aufdrückte. Den THW erlöste letztlich Nikola Bilyk 12 Sekunden vor dem Abpfiff mit dem Tor zum 24:22 Endstand. Der Österreicher war gleichzeitig mit sechs Treffern bester Schütze der Zebras. Für Melsungen traf Kapitän Kai Häfner ebenso häufig.
Nordhessen zum bislang einzigen Mal in ihrer Bundesligageschichte, zwei Punkte aus der dortigen Arena zu entführen. Dabei sah es diesmal lange Zeit im Spiel so aus, als wenn die Rotweißen, wie meist an dieser Stelle, den Hausherren das Feld überlassen müssen. Doch der Reihe nach.
Roberto Garcia Parrondo hatte gegenüber dem letzten Heimspiel gegen den BHC geringfügige Umbesetzungen vorgenommen. Die markanteste betraf die Torhüterposition, wo statt des in den letzten Wochen gesetzten Nebojsa Simic diesmal Adam Morawski den Vorzug erhielt. Nachdem die anwerfende MT ihre beiden ersten Angriffe nicht verwerten konnte, war es der polnische Auswahlkeeper, der die erste Marke der Nordhessen setzte: In der 2. Minute entzauberte er den frei vor ihm auftauchenden Kieler Kreisläufer Patrick Wiencek.
Das beflügelte scheinbar auch den Angriff. Herrlich frei gespielt, brachte Rechtsaußen Julian Fuchs das Leder an Tomas Mrkva vorbei zu 0:1-Führung (3. Min.). Danach sorgten Harald Reinkind und Hendrik Pekeler zwar wieder für den Wechsel, aber die MT antwortete prompt – diesmal von der anderen Außenbahn: Ben Beekmann, 2:2 (5.). Kurz darauf wieder der Schwenk auf Rechtsaußen, von wo aus Julian Fuchs souverän zum 3:3 ausgleichen konnte (7.). Keine Frage, das Melsunger Spiel über die Flügel fruchtete.
Was die Hausherren natürlich nicht auf sich sitzen ließen und mit einem 3:0-Lauf (Wiencek, M. Landin, Sagosen) regierten (6:3, 10.). Wobei ihnen zugegebenermaßen die MT ungewollt etwas in die Hände spielte: Julian Fuchs scheiterte aussichtsreich mit einem Heber auf die Latte, dann wurde ein weitere Angriff vertändelt und auf der anderen Seite hatte Sagosen Glück, mit einem abgefälschten Ball.
Sei’s drum – die MT blieb den Kielern in den weiteren zehn Minuten auf den Fersen (9:7, 20.). Zwischenzeitlich hatte Roberto Garcia Parrondo die komplette Rückraumreihe gewechselt: Julius Kühn, Aidenas Malasinskas und André Gomes sollten nun für neuen Spirit sorgen. Und in der Tat, Julius Kühn verschaffte sich nach genau 100 torlosen Tagen – für den Goalgetter war es aufgrund seiner Verletzung heute erst sein drittes Saisonspiel – endlich wieder Erfolgserlebnisse. Dazu gehörte auch wenig später das gelungene Anspiel an den Kreis, das Gleb Kalarash zum 11:8 nutzte (22.).
Doch bis zum Halbzeitpfiff sollte Melsungen nur noch auf zwei Treffer kommen, währenddessen die Zebras deren sechs erzielten. Das konnte auch eine Auszeit beim 13:8 nicht verhindern, nach der der MT-Coach den Gegner mit André Gomes (RL), Elvar Örn Jonsson (RM) und Kai Häfner (RR) vor neue Aufgaben stellte. Auf der anderen Seite ließ die rotweiße Defensive vor allem den beiden Kieler Distanzschützen Karl Wallinius und Nikola Bilyk zu oft zu viel Raum.
So hatte es beim 17:10 zur Pause den Anschein, als sollte das Spiel für die MT wie schon oft in der Vergangenheit an diesem Ort zu einem wenig aussichtsreichen Unterfangen werden. Der Eindruck erhärtete sich auch noch, weil trotz zweier weiterer Glanztaten von Adam Morawski die Zebras auf 19:10 davonzogen (35.). Das Melsunger Schicksal schien besiegelt.
Doch dem wollten sich die MT-Cracks partout nicht hingeben. Und drehten so richtig auf. Die nächsten 166 Sekunden im Stenogramm: Siebenmetertor Aidenas Malasinskas – Parade Adam Morawski – Tor Gleb Kalarash – Parade Adam Morawski – Tor Aidenas Malasinskas – Parade Adam Morawski – Tor Kai Häfner – 19:14 Timeout THW.
Anschließend sorgte Rune Dahmke mit zwei Treffern zwar für die Wiederbelebung der 10.000 Zebra-Fans (21:14, 43.), aber die MT ließ sich davon nicht einschüchtern. Auch wenn zugegebenermaßen ein Sieben-Tore-Rückstand zu diesem Zeitpunkt des Spiels – erst recht in der Kieler Arena – für jeden Gegner das spätere Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit erahnen lässt.
Weitere fünf Spielminuten vergingen, ohne dass sich ab Abstand Nennenswertes geändert hätte (22:16, 48.). Adam Morawski, inzwischen längst zum Teufelskerl zwischen den Pfosten avanciert, hatte sogar mit einer Doppelparade aufgewartet, die allerdings nicht zählte, weil der THW-Angreifer einen Strafwurf zugesprochen bekam. Doch es muss ein weitere Impuls für seine Vorderleute gewesen sein. Denn Elvar Örn Jonsson, Dmitri Ignatow und Kai Häfner legten einen 3:0-Lauf aufs Parkett und die MT war plötzlich auf drei Tore heran (22:19, 53.).
Damit war die Crunchtime eröffnet und die Chance für die Nordehssen, etwas Sensationelles zu erreichen. Zumal den Kielern nun im Spielaufbau erstaunlich wenig einfiel und somit Tore Mangelware blieben. Melsungen hingegen blieb am Drücker und brachte es tatsächlich fertig, nach 59:07 Min. den Anschlusstreffer zu erzielen. Kai Häfner hatte sich ein Herz gefasst und abgedrängt bis auf Halblinks den inzwischen im Tor stehende Niklas Landin überrascht. Was für ein Parforce-Ritt!
THW-Coach Filip Jicha nahm noch eine letzte Auszeit. Klar, er wollte den Sieg. Kiel spielte anschließend geschickt noch ein paar Sekunden auf der Uhr herunter, ehe Nikola Bilyk per Sprungwurf zum 24:22 traf. Die MT kam zwar noch einmal in den Angriff, aber die Zeit reichte nicht mehr, um zumindest ein „halbes Wunder” von Kiel zu realisieren. Das Parrondo-Team hat – auch wenn es nicht zumindest für ein verdientes Remis gereicht hat – mit einem tollen kämpferischen Einsatz und einer großartigen Moral überzeugt.
Stimmen zum Spiel:
Adam Morawski: “Ich bin geduldig, meine Zeit kommt. Ich genieße es in dieser tollen Halle. Es tut mir leid, dass wir das Spiel im letzten Moment nicht mehr gewinnen konnten. Die erste Halbzeit war sehr schlecht. Wir wissen, dass es hier in Kiel schwierig ist, aber so können wir in den nächsten Spielen nicht wieder auftreten. Ich bin froh, dass ich meiner Mannschaft helfen konnte. Wir sind eine gute Mannschaft, aber wir hatten heute nicht so viel Glück. Wenn wir aber so spielen, wie in der zweiten Halbzeit, können wir jeden Gegner schlagen“.
Nikola Bilyk: “Wir hatten vorne Schwierigkeiten. Das lag daran, dass der Torhüter gegen unseren Rückraum ein super Spiel gemacht hat. Er hat viele Bälle genommen und wir oft überhastet geworfen und uns dadurch selbst in eine schwierige Situation gebracht, die wir hätten vermeiden können. Am Ende des Tages haben wir die zwei Punkte und stehen auf dem ersten Platz, darüber sind wir sehr glücklich“.
Quelle:MT-Melsungen Pressedienst